Fünf Gründe für WM-GoldWarum am Sonntag Stefan Küngs Zeitfahrstunde schlägt
Nach Bronze 2020 tritt der Thurgauer in Flandern an, als erster Schweizer seit 2010 das Regenbogentrikot überzustreifen.

Der mentale Vorteil

Kann ein Duell spannender sein? An der EM vor einer Woche in Trento war es ein Kampf um Sekunden, den sich Europas beste Zeitfahrer auf dem Parcours durch die Südtiroler Obstplantagen lieferten. Bei Streckenhälfte waren die Top 3 innert dreier Sekunden klassiert. Im Ziel hatte Stefan Küng sieben Sekunden Vorsprung auf den grossen Favoriten Filippo Ganna, der nun bei der WM Titelverteidiger ist. Küng geht deshalb mit der frischen Gewissheit an den Start: Er kann sie alle schlagen.
Die Wut im Bauch

Küng verweist seit seiner Rückkehr aus Japan bei jeder Gelegenheit darauf: Die 0,4 Sekunden, um die er in Tokio Olympiabronze verpasst hat, haben ihn seither angetrieben und noch konsequenter auf das Ziel Zeitfahr-WM hinarbeiten lassen. «In jedem spezifischen Training hat er sich noch ein bisschen mehr wehgetan im Wissen, dass ihn nur das weiterbringt», sagt sein Trainer Julien Pinot. Seine Topform suchte Küng wie vor Olympia im Höhentraining auf dem Säntis. Derweil versuchte sein Mechaniker am Velo noch ein paar Hundertstel herauszuholen. «Bei vier Zehnteln hinterfragst du noch einmal alles», sagt Küng, ohne Details preiszugeben.
Die Abwesenden

Olympia und WM sind 2021 offensichtlich nicht kompatibel: Von den drei Medaillengewinnern von Tokio tritt keiner in Flandern an. Olympiasieger Roglic verzichtet einigermassen überraschend auf einen Start, fürs Strassenrennen eine Woche später ist er gemeldet. Tom Dumoulin (Weltmeister 2017) erlitt kürzlich im Training, als ihm ein Auto den Weg abschnitt, einen Handgelenkbruch. Und Rohan Dennis, der Weltmeister von 2018 und 19? Weshalb der unberechenbare Australier nicht am Start steht, ist unklar. Klar aber ist, dass jeder aus diesem Trio Medaillenpotenzial gehabt hätte, mindestens.
Das innerkantonale Plus

Stefan Bissegger ist Thurgauer – wie Küng. Er lebt in Frauenfeld – wie Küng. Er gewann diese Saison Zeitfahren in Worldtour-Rennen – wie Küng. Der 23-jährige WM-Debütant ist damit ein heisser Aussenseiter. Doch Küng weiss: Die wichtigen Duelle mit Bissegger entschied er bisher fast ausnahmslos für sich. Zudem bestritt Bissegger noch nie ein so langes Zeitfahren (43 km).
Das Bewusstsein für den Moment

Noch nie ist Küng selbstbewusster zu Titelkämpfen gereist. Er gewann zwar 2019 Strassenbronze und wurde 2020 Dritter im Zeitfahren. Ersteres war jedoch ein Coup, die Zeitfahrbronze von Imola das absolute Maximum. Nun sagt er: «Ich bin einer der Favoriten, die die Möglichkeit haben zu gewinnen.» Es präsentiert sich eine viel offenere Ausgangslage als 2020, als Ganna die Disziplin eine Saison lang dominiert hatte. WM-Gold für Küng wird damit nicht zur Selbstverständlichkeit, dafür sind Ganna und Wout van Aert (BEL) zu stark. Aber wenn er die Reihe von Schweizer Zeitfahrweltmeistern fortführen sollte, wäre das auch keine Überraschung. Seit dem Zweiten Weltkrieg triumphierten Gilbert Glaus (1978), Alex Zülle (1996) sowie Fabian Cancellara (2006, 2007, 2009, 2010) im Kampf gegen die Uhr.
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