Lancia-ComebackWiedergeburt oder PR-Fantasien
Stellantis gibt der seit Jahren kränkelnden Traditionsfirma Lancia eine Perspektive für die elektrische Zukunft. Wie die aussehen könnte, zeigt jetzt eine rätselhafte Designstudie.
Für die (erneute) Wiederbelebung der italienischen Traditionsmarke Lancia wählte der Mehrmarkenkonzern Stellantis ein historisches Ambiente. Das feine Lustschloss Reggia di Venaria bei Turin ist über 300 Jahre alt, wurde schon kurz nach Fertigstellung vom Franzosenkönig Ludwig XIV. zerstört, immer wieder aufgebaut und später als Kaserne genutzt. Ende des 2. Weltkriegs geriet das inzwischen zum Unesco-Welterbe zählende Schmuckstück weitgehend in Vergessenheit. Ob gewollt oder nicht: Da bieten sich durchaus Ähnlichkeiten zur ikonischen italienischen Automarke Lancia an.
Die litt jahrelang unter dem Spardiktat der Mutterfirma Fiat, verkalkulierte sich mit neuen Modellen wie dem Lybra oder dem Thesis, die keiner wirklich haben wollte. Oder begrub den legendären Delta mit der pummeligen 3. Generation, die von 2008 bis 2014 produziert wurde, endgültig im Friedhof der automobilen Legenden. Derzeit gibt es nur noch den Kleinwagen Ypsilon, der jedoch nur in Italien verkauft wird und höchstens noch mit der Farbpalette erneuert wird.
Während das Barockschloss ab 1999 auch mit EU-Geldern aufwendig restauriert wurde und jetzt ein veritabler Touristenmagnet ist, läutet bei Lancia der neue Besitzer die Renaissance ein. Lancia soll zur Edelmarke von Stellantis werden und zusammen mit den Konzernschwestern Alfa Romeo und DS Automobiles aus Frankreich die Speerspitze auf der Jagd nach zahlungskräftiger Kundschaft bilden. Drei neue Lancia-Modelle bis 2028, alle elektrisch und mit klangvollen Namen: Neben dem Ypsilon soll auch der einst auf Rallyepisten so erfolgreiche Kultsportler Delta wiederauferstehen.
Radlose Ratlosigkeit
Das neue Topmodell dagegen hat noch keinen Namen, könnte vielleicht wieder Aurelia heissen. In einem der vielen Säle des Schlosses wurde es von einer grossen Plane verhüllt, bis Lancia-Chef Luca Napolitano selbst Hand anlegte und das «Design für die nächsten 100 Jahre» ankündigte. Doch da stand mitnichten ein Auto, eher ein stromlinienförmiges, hellblaues Gebilde, das radlos für Ratlosigkeit sorgt. Ein Ausblick auf ein dynamisches Modell, Sportwagen oder SUV mit Schrägheck? Chefdesigner Jean-Pierre Ploué lässt das offen und verweist auf die Frontpartie dieser Skulptur, deren kelchförmiger Kühlergrill an historische Modelle erinnern soll und den Lancia-Schriftzug trägt. Darunter drei LED-Strahlen in Form eines Windrads, die laut Ploué den Übergang ins elektrische Zeitalter symbolisieren. Das kuppelförmige Dach mit einer verglasten mittigen Öffnung dient als Hommage an die Klassiker der Marke wie ebenjenen Aurelia.

Kreisrunde Rückleuchten am hinteren Ende der Designstudie nehmen ebenfalls den modernisierten Schriftzug in ihre Mitte, sollen an den flachen Sportwagen Stratos erinnern und werden in ähnlicher Form am neuen Ypsilon auftauchen, der 2024 als erstes Modell den Wandel einleiten soll. «Pu-Ra Zero» nennt der aus Frankreich stammende Chefgestalter das neue Design. «Pu» steht für «pur» und «Ra» für «radikal». Und «Zero» natürlich für die lokalen Emissionen. Nach diesem Motto soll sich Lancia von den vielen Rivalen abheben. Wie das später in die Praxis umgesetzt werden soll, bleibt trotz des durchaus imposanten Designdenkmodells der Fantasie überlassen, da nur einzelne Elemente des künftigen Aussehens der Lancia angedeutet wurden.
Auch über das Innenleben verrät Vorstandschef Luca Napolitano nichts Konkretes. Fest steht nur, dass der Autobauer dafür mit der Firma Cassina, dem in Fachkreisen bekannten italienischen Hersteller von Designermöbeln, zusammenarbeitet. So soll zum Beispiel beim kleinen Ypsilon gut die Hälfte der im Innenraum berührbaren Flächen aus ökologischen Materialien bestehen.
Auch bei Verkauf und Vertrieb will die inzwischen 116 Jahre alte Marke moderne Wege gehen. In 100 exklusiven Ausstellungsräumen in 60 europäischen Städten sollen die Kunden die drei Modelle, die in Zweijahresschritten erscheinen und laut Lancia gut 50 Prozent des Marktes abdecken sollen, bewundern können. Gekauft werden die Autos dann weitgehend online. «Dazu reichen drei Klicks», sagt Luca Napolitano.
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