TV-Kritik «Valeria – Ein Medikament für ein Leben»Zwei Millionen, um ein krankes Mädchen zu retten
Ein Luzerner Paar hat 2019 mit einem Crowdfunding für die Behandlung seines Töchterchens grosse Betroffenheit ausgelöst. SRF hat die Familie im darauffolgenden Kampf gegen die Zeit begleitet.

Die Geschichte von Alexandra und Mario Schenkel aus Luzern erinnert an den oscarnominierten Hollywoodfilm «Lorenzos Öl» mit Susan Sarandon und Nick Nolte in den Hauptrollen. Es geht darin um einen schwer behinderten Knaben, der an einer extrem seltenen Krankheit leidet. Seine Eltern wollen nicht wahrhaben, dass es keine Behandlung für den Kleinen geben soll. Sie vertiefen sich fieberhaft in Fachbücher und Studien, wenden sich an Ärzte in aller Welt, in der Hoffnung, ein Mittel zu finden, das Lorenzos Leben verbessern oder vielleicht gar retten kann.
Auch die kleine Valeria Schenkel ist mit einer Krankheit zur Welt gekommen – einem Gendefekt, den gerade mal 100 Kinder weltweit haben. Die Lebenserwartung beträgt drei Jahre. Als das «Reporter»-Team von SRF das Mädchen im Frühling 2019 zum ersten Mal besucht, ist Valeria einjährig. Sie kann sich kaum bewegen, ist kognitiv beeinträchtigt und hat täglich bis zu 40 schmerzhafte Krampfanfälle, ähnlich wie bei der Epilepsie.
Innert drei Tagen kam fast eine Million Franken an Spenden zusammen.
In jenen Tagen haben ihre Eltern gerade das bislang erfolgreichste europäische Crowdfunding im Bereich Medizin geschafft – innert drei Tagen kam fast eine Million Franken an Spenden zusammen. Die Anteilnahme in der Schweiz war riesig, auch dank der breiten medialen Berichterstattung. Ähnlich wie das Paar aus dem Hollywoodfilm hatten die Psychologin und der Anwalt selber Spezialisten in aller Welt gesucht und diese miteinander vernetzt.
Sie wussten, dass schätzungsweise zwei Millionen Franken nötig sein würden, um ein Medikament für die Kleine zu entwickeln und das mutierte Gen verändern und ihre Tochter vielleicht retten zu können. Sie hatten selber bereits eine Million Franken zusammengekratzt – mit Erspartem und Geld von Eltern, Freunden, Bekannten, Verwandten. Sie hatten keine andere Wahl: Weder die Krankenkasse noch die IV zahlen für ein Medikament, das nicht zugelassen ist.
Im Mai 2019 sagte Mario Schenkel in der «SonntagsZeitung»: «Wenn alles gut läuft, wird Valeria im Winter die Behandlung bekommen.» Danach wurde es medial ruhig um die Familie. Die Reportage «Reporter»: Valeria – Ein Medikament für ein Leben» hat die drei auf ihrem Wettlauf gegen die Zeit begleitet.

Im Herbst 2019 zieht die Familie nach Boston, allein der Aufenthalt im dortigen Spital würde 400’000 Dollar kosten. Im Frühling 2020 bricht Corona aus, das Mädchen feiert seinen zweiten Geburtstag und wartet nun schon seit einem halben Jahr auf die Behandlung. «Es kann sein, dass Valeria zwei Drittel ihres Lebens gelebt hat», sagt ihre Mama Alexandra Schenkel in die Webcam aus Boston. Alles dauert viel länger als gedacht, die Zeit rennt davon.
Erst im Herbst 2020 erteilt die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA die Zulassung für das Medikament, das extra für Valerias Gendefekt entwickelt worden ist. Die Familie lebt seit einem Jahr in den USA, die Kleine ist bereits zweieinhalb. Ob die Therapie überhaupt anschlagen würde, wissen sie nicht. Aber die Hoffnung ist gross. Bei einem Kind mit einem ähnlichen Krankheitsbild hat es funktioniert.

Im Frühling feiert Valeria ihren dritten Geburtstag, sie wirkt auf den Videoaufnahmen aus Boston deutlich vifer, hat weniger Krämpfe. Das Medikament scheint tatsächlich anzuschlagen. Sogar den Kindergarten kann die Kleine besuchen, gemeinsam mit anderen beeinträchtigten und gesunden Kindern. Ihre Eltern werden aber nie live sehen, wie glücklich sie auf der Schaukel gewesen ist. Nur auf einem Foto der Kindergärtnerin. Weil sie wegen Corona nicht dabei sein dürfen. Und weil Valeria im September 2021 stirbt.
Warum, wissen Alexandra und Mario Schenkel nicht so genau, vermutlich war es eine Ansammlung von Hirnflüssigkeit, die man zu spät entdeckt hat. Vielleicht war es eine Nebenwirkung des Medikaments, vielleicht war die Dosis zu hoch. «Wir hatten gehofft, dass wir schnell genug sind und ihr helfen können. Wir haben alles gemacht», sagt Alexandra Schenkel. Am Ende sei es eine Erlösung für die Kleine gewesen.
Hoffnung für andere Eltern
So emotional Valerias Geschichte ist, so filmreif die Spendenaktion und die weltweite Zusammenarbeit von Spezialistinnen und Spezialisten, so beeindruckend das Engagement der Eltern – man hätte gerne mehr von ihnen erfahren und gesehen in der relativ nüchtern erzählten Reportage.
Wie das Luzerner Paar – zwei Laien ohne medizinische Kenntnisse – es genau schaffte, weltweit ein Expertenteam aufzutreiben und miteinander zu vernetzen. Wie diese zusammenarbeiteten. Wie die Behandlung vor sich ging. Oder was zwischen dem Frühling, als es Valeria besser ging, und dem Herbst, als sie plötzlich starb, geschah. Aber darauf ging der Film nicht oder nur am Rande ein.

Anders als bei Valeria gab es für Lorenzo aus dem Hollywoodfilm, der auf wahren Begebenheiten beruht, ein Happy Ending: Der unermüdliche Einsatz seiner Eltern wurde belohnt. Im Film lag der Knabe die ganze Zeit in einem Koma-ähnlichen Zustand auf dem Bett, am Ende der Aufnahmen kann er sich mit seinen Augen und Fingern bemerkbar machen. Dank Valerias Medikament können nun aber Eltern anderer Kinder hoffen. Es wird weiter geforscht, auch dank dem Geld aus dem Crowdfunding-Fonds.
Fehler gefunden?Jetzt melden.